>>> face to face – USCHI KOCH >Text von Jens Martin Neumann, 2010


 Das große Thema der Kieler Bildhauerin Uschi Koch ist der Mensch. Ihr gesamtes Werk — egal ob in Fotografie, Installation oder Skulptur — kreist im Fokus eines klar bildhauerischen Blicks stets um Bilder humaner, dabei existenziell aufgefasster Leiblichkeit. Bekannt geworden durch ihre schwarzweißen, räumlich montierten Aktfotografien, in denen sich aus gestaffelten Fragmenten, kurzen Bildsequenzen und suggerierten Bewegungen eine intensive, die Phantasie stimulierende Erzählung entwickelt, begann sie 2005 dreidimensionale lebensgroße Köpfe zu modellieren, die durch ihre kraftvollen Formen, die große sinnliche Prägnanz und diese ungewöhnlich eindringliche Macht der körperlichen Realität beeindrucken.


Uschi Kochs auf menschliches Maß gebrachten Köpfe zeigen das sichere psychologische, jedoch nicht befindliche Erfassen des menschlichen Antlitzes und ein selbstverständliches Auffinden der Physiognomie im Material, kurz: die wissende modellierende Hand der Bildhauerin, zugleich aber ebenso das tiefe Verständnis einer Fotografin für das Porträt. Sie besitzen Ruhe, abgewogenes Gleichmaß und edle Konturen. Die ausdrucksstarken Gesichter sind straff, dabei zugleich fließend und weich wiedergegeben, entfalten sich zu räumlicher Tiefe, natürlichem Volumen und fleischlicher Fülle. In ausgeglichener Komposition zu sanften Schwüngen ein- und auswärts gebogen, liegt in ihren gedämpften, fein beobachteten Haltungen eine graziöse Verhaltenheit ohne jegliche Dramatik. Sie wirken in diesen lockeren, eben ganz normalen, weil ungeschönten Bewegungen wie zufällige Schnappschüsse intimer Momente. Verwahrt die handwerkliche Ausführung in der Trias von Tonmodell, Gipsform und Betonguss noch die Erinnerung an altehrwürdige Skulpturentraditionen, entziehen sich ihre Köpfe in der schlichten Präsentation direkt an der Wand, den gesucht rauen, gleichsam unperfekt wirkenden Oberflächen, der zurückhaltenden Farbigkeit des eingefärbten Betons und den pointiert gesetzten Farbakzenten der Augen sowie bereits in der Wahl des modernen Baustoffs der klassischen Bildhauerästhetik von edlem Stein, poliertem Marmor oder patinierter Bronze. Weder der überkommene Materialkanon mit seinen alten Hierarchien noch die gewohnt auratische Sockelung besitzt hier Bedeutung, denn die Figurenauffassung Uschi Kochs geht nicht länger von den in der Kunst tradierten Sehgewohnheiten aus, sondern von unserer Alltagserfahrung.


Die manuell formende Durchdringung des menschlichen Kopfes zielt auf die bildhauerische Übersetzung innerer Bilder der Künstlerin, also tief einverleibter Erinnerungen an geschaute Gesichtszüge aus dem eigenen sozialen Umfeld, aus Kunst, Medien und Natur, die sich zu körperlicher Präsenz aktualisieren. Im Verzicht auf lebende Modelle, also auf tatsächliche Abbildhaftigkeit zugunsten imaginierter Bildnisse, sind ihre Köpfe auf eine überindividuelle Ebene ideeller Allgemeingültigkeit erhoben. Das zur plastischen Darstellung gebrachte Antlitz ist demnach, obgleich hochgradig individualisiert, kaum als Porträt, sondern als menschliche Grunderfahrung bedeutsam. Genau in diesem Bereich fragt Uschi Koch als Bildhauerin nach einer, human wie künstlerisch gültigen Definition des menschlichen Kopfes. An uns allen bekannten Mustern — dem kleinen Jungen, dem Mädchen im Jugendalter, der erwachsenen Frau — beispielhaft vorgeführt, spürt sie fern jeder ästhetischen Konvention in sehr persönlichen und doch charakteristischen Physiognomien dem urmenschlichen Mienenspiel, seiner leisen Bewegtheit und der darin ablesbaren Gestimmtheit nach. Sie erkundet solche Ausdrucksformen in Mimik, aber genauso in Gestik, denn der Körper ist als quasi verborgener Leib in Hals und knappem Schultertorso anzitiert, wird von uns somit assoziativ ergänzt: Eine leichte Neigung des Kopfes, die nachgezeichnete Anspannung des Halses, der zarte Anlauf des Schultergürtels oder auch das unmerkliche Umschlagen eines Kragens bringen die gesuchte Geste und Bewegung mit ins Bild, erfassen sie aber in elegischer Verhaltenheit ohne laute Pose. Während eine würdevoll distanzierte Frau mit fast regungslosem Gesichtsausdruck in strenger Frontalität ihren Blick in die Ferne richtet, ist diese energische Klarheit in manchen jüngeren Gesichtern weicher Beseelung gewichen, so bei einem empfindsamen Knaben einer leisen kindlichen Melancholie oder bei dem eher kapriziösen Mädchen jenem typisch trotzigen, doch verschlossenen Aufbegehren; stille Versunkenheit auch bei einem träumenden, in sich hinein hörenden Mann mit gesenkten Lidern, aber leicht geöffneten Lippen, weltoffene Aufmerksamkeit oder fröhliche Ironie in versonnenem Lächeln bei einem zweiten. Hier werden unterschiedlichste Gemütsverfassungen und Gefühlswerte, ein vielfältiges Spektrum menschlicher Empfindungen, abwechslungsreich, leichthändig und in wirklich überraschender Darstellungsqualität eingefangen. Uschi Koch beschreibt in ihren offenen, in diesem Sinne dann doch veristischen Porträts eben nie ausschließlich den physischen Zustand, sondern dringt über die spezifische Bezeichnung verschiedener Temperamente bis zum Innenleben des Individuums vor — der Kopf stilisiert zum Spiegel der Seele.


Bildhauerische und inhaltliche Fragen sind im Werk von Uschi Koch untrennbar miteinander verbunden. Dadurch dass sie sich thematisch nicht auf realistische Porträthaftigkeit festlegt, der faltengenaue Abgleich anhand der Modellvorgaben also entfällt, gewinnt sie auch künstlerisch größere Freiheit. Und so kann sie bei aller weit getriebenen Naturnähe doch eine entschiedene Stilisierung im Sinne eines mehr rundlichen Kopfideals, einer formalen Verknappung zur gebundenen und voluminösen, dabei in sich spannungsvollen Gesamtform verfolgen, die einzelne Details zugunsten der geschlossenen Außenlinie und stärker kuppelig wulstiger Formen sowie strukturierter, porös pudriger Oberflächenmodulationen opfert, somit auch formal nach bemessener Zuständlichkeit sucht. Die Umrisse sind scharf gezeichnet, die wölbenden Flächen stehen artifiziell klar gegeneinander, das Inkarnat ist in der Einfärbung des Betons rein atmosphärische Hautanalogie, Falten und Poren sind in die abstrakten Texturen des Werkstoffs verlagert. Über den Gesichtern erheben sich mehrfach gerillte, in breiten Bahnen fließende Frisuren, deren malerisches Licht- und Schattenspiel einen lebhaften Kontrast zu den mehr ruhigen Gesichtspartien bilden. Uschi Koch operiert dabei stets mit der greifbaren Masse des Betons, sie interessieren immer auch die formalen Aspekte der Definition, Tektonik und Gliederung des menschlichen Kopfes, der Grenzen und Achsen des umschlossenen Raums, der Form und des Intervalls. Ihr plastisches Gestalten kreist stets um das formbare Volumen, das sich in kugeligen Elementen und organischen Krümmungen zur Anschauung bringt, also um ein weitgehend aus sphärischen Rundungen entworfenes Figurenideal. Und damit gewinnen ihre Köpfe diese lapidare Kraft und selbstverständliche Wucht. Das eigentlich spektakuläre, und doch so feinsinnig vorgetragene Grunderlebnis ihrer Skulpturen ist dieses Nachaußendrängen der Masse, das natürliche Schwellen der Gesichter in straffen Kurven, gleichsam diese Energie geladene, doch anmutige Expansion geformten Betons aus seinem Inneren, das deutlich metaphorischen Verweischarakter besitzt.


Diese sensibel erinnerten Köpfe von Uschi Koch sind wundervolle Studien über das menschliche Antlitz, seine spezifische Gesichtslandschaft und unsere darin ablesbaren seelischen Gemütszustände. Die Bildhauerin nutzt heute das Erkenntnispotential ihrer früheren fotografischen Leibeserkundungen, bei denen sich collagierte Überlagerung von Fotoschichten, Aufgliederung in große Totale und gereihte Nahaufnahmen einzelner Körperdetails zu einem szenischen Mehrfachbild verbinden, um möglichst nah am Körper zu sein. Sie macht kontinuierlich Etüden über die Formung der menschlichen Physiognomie, entziffert ohne zu ermüden unsere Konterfei immer aufs Neue, erforscht es mit großer Ausdauer und Wärme. Uschi Kochs künstlerische Suche gilt schlicht den Bildern vom Menschen, den Bildern unseres Angesichts als existenzieller und primärer, eben universell verständlicher Sprache.

 

 

Jens Martin Neumann

Kunsthistoriker, Kiel